Antrag
der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS
Antidiskriminierungs- und Integrationsfördermaßnahmen für Berlin
Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:
a)
Der
Senat wird aufgefordert, einen Aktionsplan
„Freiräume und Integrationschancen für zugewanderte Frauen und Mädchen“ zu
erarbeiten und umzusetzen. Dieser soll insbesondere folgende Einzelmaßnahmen
und Aspekte beinhalten:
·
Qualifizierungs-
und Fortbildungsangebote für Familien- und Erziehungsberatungsstellen beim
Erkennen von und im Umgang mit religiösen und kulturellen Alltagskonflikten,
·
Mädchen
mit Migrationshintergrund erhalten Ansprechpartnerinnen an den Schulen für ihre
spezifischen Probleme,
·
Qualifizierung
der Jugendämter für spezifische Probleme jugendlicher Migrantinnen, z.B. im
Bereich von Zwangsverheiratungen,
·
Der
Senat wird zusammen mit den Partnern am Runden Tisch Ausbildungsplätze darauf
hinwirken, dass Benachteiligungen wegen Rasse, Herkunft, Religion oder Weltanschauung
vermieden werden.
b)
Der
Senat wird aufgefordert einen Arbeitskreis
„Islam und Schule“ einzurichten. In diesem Arbeitskreis sollen neben den
Senatsverwaltungen für Bidung, Jugend und Sport, für Wissenschaft und Kultur
sowie dem Beauftragten des Senats für Migration und Integration vor allem
pädagogische und islamwissenschaftliche Kompetenz aus den Berliner
Universitäten, interreligiöse Kompetenz sowie Vertreterinnen und Vertreter von
Religionsgemeinschaften mitwirken.
Der
Arbeitskreis soll:
·
Handreichungen
für Schulen, Lehrkräfte, Eltern und Schüler für praktikable Lösungswege bei
interreligiösen Konflikten insbesondere Zusammenhang mit der Nichtteilnahme von
Muslima am Sport- und Schwimmunterricht, an der Sexualerziehung, an
Klassenfahrten, an Freizeitaktivitäten und Arbeitsgemeinschaften, sowie zum
Frauenbild, zum Kontrolldruck auf muslimische Schülerinnen und zu Konflikten
unter Schülerinnen und Schülern entwickeln,
·
Fortbildungsangebote
für Hintergründe, zum Erkennen von und den Umgang mit interreligiösen
Konflikten an der Schule entwickeln,
·
darauf
hinwirken, dass islamwissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten beim Umgang
mit interreligiösen Konflikten in die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrer
sowie Erzieherinnen und Erzieher einfließen.
·
einen
Diskussionsprozess mit den islamischen Religionsgemeinschaften über Standards
für den islamischen Religionsunterricht führen.
c)
Der
Senat wird aufgefordert gemeinsam mit der Landeszentrale für Politische
Bildung, den Stiftungen der politischen Parteien Informations- und Aufklärungsmaßnahmen zu initiieren, die das Ziel
haben, sowohl über die Bedeutung des Islam für hier lebende Muslime, die
multireligiöse Realität, und über die Situation von muslimischen Frauen und
Mädchen aufzuklären, als auch über die besondere Rolle des islamischen
Fundamentalismus zu informieren.
d) Der Senat wird aufgefordert, Angebote des community coachings, die sich mit antidemokratischen, antisemitischen und rassistischen Tendenzen auch unter Migrantinnen und Migranten beschäftigen, weiterzuentwickeln. Besondere Aufmerksamkeit gilt hier dem Islamismus. Sie sollen antidemokratische Tendenzen erfassen, Hilfe beim Konfliktmanagement anbieten und Verwaltung und Zivilgesellschaft bei der Entwicklung von Gegenstrategien beraten.
e)
Der
Senat wird aufgefordert gegenüber dem Bund auf eine umfassende Umsetzung der drei
EU-Richtlinien 2000/43, 2000/78,
2002/73 zu drängen und sich auf die Umsetzung in Berlin vorzubereiten. Dies
beinhaltet auch, dass öffentliche Aufträge des Landes Berlin nicht an Bewerber
vergeben werden dürfen, die andere Menschen wegen ihrer Herkunft, Rasse Religion
oder Weltanschauung diskriminieren.Der Senat wird aufgeordert bereits jetzt -
im Vorgriff auf bundesgesetzliche Regelungen zur Umsetzung der EU Richtlinien
zur Bekämpfung von Diskriminierungen wegen Rasse, Herkunft, Religion,
Weltanschauung - eine Stelle zur
Förderung der Gleichbehandlung (Antidiskriminierungsstelle) nach folgenden
Maßgaben und mit folgenden Aufgaben einzurichten:
1.
Der
Senat wird aufgefordert, folgendes sicherzustellen und nötigenfalls hierzu
gesetzliche Regelungen zu erarbeiten und dem Abgeordnetenhaus vorzulegen:
Das Land Berlin
fördert die Einstellung mehrsprachiger
Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund in der Berliner Verwaltung.
Zur Förderung der interkulturellen Kompetenz werden bei Einstellungen und Stellenbesetzungen
besondere Kenntnisse von Herkunftssprachen nach Berlin zugewanderter Bevölkerungsgruppen
als besondere Qualifikation gewertet.
Dem Abgeordnetenhaus ist
hierüber bis zum 31.03.2005 Bericht zu erstatten.
Begründung:
Nach einer breiten
öffentlichen Debatte aus Anlass des sogenannten Kopftuchstreites über Notwendigkeit
und Sinn gesetzlicher Regelungen zur Sicherstellung der
weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates sowie deren
integrationspolitischer Risiken beantragen SPD und PDS ein Paket konkreter
Antidiskriminierungs- und Integrationsfördermaßnahmen. Damit soll der
Gesetzentwurf zur Regelung der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates,
der vom Senat vorgelegt worden ist, flankiert werden.
Ziel dieses Maßnahmepaketes
ist:
-
ein
deutliches Zeichen gegen Stigmatisierung von hier lebenden Muslimen zu setzen,
-
Angebote
zur Bearbeitung realer Integrationsprobleme zu schaffen und
-
Hilfestellung
bei der Bewältigung konkreter interkultureller Probleme zu geben.
Jedem Anschein von
Stigmatisierung von Muslimen muss entgegengetreten werden. Sie sind ein Teil
dieser Gesellschaft. Konflikte die sich aus dem Zusammenleben unterschiedlicher
Kulturen und Religionen ergeben, sind daher Probleme dieser Gesellschaft.
In diesem Sinne sind die
Vorschläge ein Angebot an hier lebende Migrantinnen und Migranten - insbesondere
muslimischen Glaubens - zur besseren
Integration.
zu 1.) Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund
bedürfen in besonderem Maße der Förderung zur Sicherung gleicher Lebenschancen.
Sie sind in besonders
betroffen von Konflikten zwischen ihrem kulturellen und familiären Hintergrund
und der Gesellschaft.
Deshalb sollen die
Erziehungs- und Familienberatungen sowie die Jugendämter sensibilisiert werden
um in diesen Konflikten Hilfe anbieten zu können.
Insbesondere soll Mädchen,
die von Zwangsverheiratungen betroffen sind, Hilfe und Beratung gewährt werden.
An den Schulen werden
Mädchen mit Migrationshintergrund spezielle Ansprechpartnerinnen für Probleme
und Konflikte zwischen Elternhaus und Schule erhalten.
Um ihre Chancen auf
Ausbildung und Beschäftigung zu verbessern sollen am Runden Tisch für
Ausbildung gemeinsam mit den dort Beteiligten Wege gegen Diskriminierungen beim
Zugang zu Ausbildung gefunden werden.
Zu 2.) Der Dialog und der Umgang mit der drittgrößten
konfessionellen Gruppe in Deutschland ist unterentwickelt. Daraus resultieren
eine Reihe von Vorurteilen, Missverständnissen und Konflikten.
Zudem verstärken die
vielfältigen Auslegungen des Islam die Unsicherheiten im Umgang damit.
Lehrerinnen und Lehrer,
Erzieherinnen und Erzieher, Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie die
Öffentlichkeit insgesamt sind auf diese Konflikte unzureichend vorbereitet.
Der einzurichtende Arbeitskreis „Schule und Islam“ soll sowohl Kompetenz zur Beratung von Verwaltung bündeln, als auch helfen zwischen der Gesellschaft und Muslimischen Religionsgemeinschaften vermitteln helfen. Deshalb sollen in ihm neben den Senatsverwaltungen für Bildung, Jugend und Sport, der für Religionsgemeinschaften zuständigen Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur sowie dem Beauftragten des Senats für Migration und Integration auch Islamwissenschaftliche Kompetenz und Vertreterinnen und Vertreter von muslimischen Religionsgemeinschaften mitarbeiten.
Der Arbeitskreis soll
Plattform des Dialogs zwischen Öffentlichkeit und muslimischen Religionsgemeinschaften
sein und sich damit zu einer akzeptierten gesellschaftlichen
Vermittlungsinstanz entwickeln. Er soll Ansprechpartner bei interreligiösen
Konflikten sein. Er soll Kompetenz bündeln und Konzepte des Umgangs mit solchen
Konflikten erarbeiten. Insbesondere sollen Hilfsangebote für den Umgang mit
solchen Konflikten an der Schule erarbeitet sowie Konzepte entwickelt werden,
wie Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher in ihrer Aus- und
Fortbildung auf solche Konflikte vorbereitet werden können. Außerdem soll
er - im Dialog mit Religionsgemeinschaften
des Islam – Standards für den Islamischen Religionsunterricht erarbeiten.
Zu 3.) Im öffentlichen Bewusstsein dominieren
Unsicherheit und Vorurteile gegenüber der drittgrößte Religionsgemeinschaft in
Deutschland. Der Islam ist hier gesellschaftliche aber zugleich verdrängte
Normalität. Hier soll öffentliche Aufklärung ansetzen und helfen Vorurteile und
Ängste abzubauen aber auch die Auseinandersetzung mit Islamismus befördern
Zu 4.) Islamistischen Bestrebungen erfordern
Gegenwehr. Im Unterschied zur übergroßen Mehrheit hier lebender Muslime richten
sich Islamisten gegen eine offene, demokratische Gesellschaft.
Islamistische Tendenzen
müssen aufgedeckt werden.
Die gesellschaftliche
Auseinandersetzung mit antidemokratischen, antisemitischen und rassistischen
Tendenzen soll deshalb befördert werden – im Großen wie im Kleinen.
Das community caoching hat
sich bisher vor allem in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus
aber auch bereits in Ansätzen mit Islamismus bewährt. Durch Kommunalanalysen
sollen islamistische Tendenzen in den Bezirken erkannt und zur öffentlichen
Debatte gestellt werden. Gleichzeitig sollen Verwaltung und gesellschaftliche
Akteure für die Auseinandersetzung
Gewonnen, dabei unterstützt
sowie bei der Erarbeitung von Gegenstrategien beraten werden.
Zu 5.) Diskriminierungen von Migrantinnen und
Migranten aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Religion oder
Weltanschauung sind nach wie vor im Alltag präsent. Sie sind ein Hindernis für
Integration und gleichberechtigtes Zusammenleben.
Neuzuwanderer, Flüchtlinge -
aber auch die große Zahl von Personen unterschiedlicher Herkunft und ihrer hier
geborenen Kinder, die sich schon viele Jahre in Berlin aufhalten - sehen sich
vielfältigen Diskriminierungen auf Grund ihrer ethnischen Herkunft, ihrer
Weltanschauung und ihrer Religion ausgesetzt.
Es bedarf intensiver
Anstrengungen, um solche Diskriminierung zu bekämpfen.
Deshalb soll eine Leitstelle zu Förderung der Gleichbehandlung (Antidiskriminierungsstelle) zur Bekämpfung von Diskriminierungen wegen Rasse, Herkunft, Weltanschauung und Religion eingerichtet werden. Dies erfolgt im Vorgriff auf gesetzliche Regelungen die auf der Bundesebene auf Grund der EU-Richtlinien zur Bekämpfung von Diskriminierungen wegen der ethnischen Herkunft zu verabschieden sind. Die Richtlinien, die sich auf Artikel 13 des Europäischen Gemeinschaftsvertrags (EGV) stützen, hat der Rat der Europäischen Union im Juni 2000 verabschiedet. Bezüglich der Antidiskriminierungsstellen heißt es in der Richtlinie 2000/42/EG, dass „jeder Mitgliedstaat (...) eine oder mehrere Stellen bezeichnet, deren Aufgabe darin besteht, die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Personen ohne Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft zu fördern.“
Der Senat soll auf
Bundesebene auf eine zügige Umsetzung dieser Richtlinien drängen.
In Berlin kann darauf nicht
gewartet werden.
Die
Antidiskriminierungsstelle wird beim Beauftragten des Senats für Migration und
Integration eingerichtet, um die dort vorhanden Erfahrungen und Kompetenzen
nutzen zu können.
Im Einzelnen soll die Stelle
Beschwerden über Diskriminierungen und Konflikte wegen Herkunft, Rasse,
Weltanschauung oder Religion entgegennehmen und ihnen nachgehen. Sie soll in
Konfliktfällen zwischen den Beteiligten zu vermitteln. Dabei wird sie von
öffentlichen Verwaltungen und Einrichtungen des Landes Berlin unterstützt. Die
Stelle veröffentlicht Berichte und legt Empfehlungen zu allen Aspekten vor, die
mit diesen Diskriminierungen in Zusammenhang stehen. Zudem soll die Stelle als
Interventions- und Beratungsstelle bei interreligiösen Konflikten fungieren.
Die Umsetzung anderer
EU-Richtlinien beispielsweise hinsichtlich der Bekämpfung der Diskriminierung
wegen des Geschlechts wird durch die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle
bei Diskriminierungen wegen Herkunft, Rasse, Weltanschauung oder Religion nicht
berührt.
Zu einer wirksamen
Antidiskriminierungspolitik gehört auch, dass der Senat dafür sorgt, dass öffentliche
Aufträge des Landes Berlin nicht an Bewerber vergeben werden, die Menschen
wegen ihrer Herkunft, Rasse Religion oder Weltanschauung diskriminieren.
Zu 6.) Zur Förderung interkultureller Kompetenz der Berliner Verwaltung und zur besseren Integration von Migrantinnen und Migranten soll die Einstellung mehrsprachiger Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund befördert werden. Bei der Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern für Stellenbesetzungen oder Einstellungen sollen Kenntnisse von Herkunftssprachen nach Berlin zugewanderter Bevölkerungsgruppen als besondere Qualifikation in die Bewertung der Fähigkeiten und der Eignung eingehen. Dies soll der Senat sicherstellen und nötigenfalls hierfür gesetzliche Regelungen erarbeiten und dem Abgeordnetenhaus vorlegen.
Berlin, den 23. September 2004
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Müller Fischer
Kleineidam und die übrigen Mitglieder der Fraktion der SPD |
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Liebich Seelig
Wolf und die übrigen Mitglieder der Fraktion der PDS |
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